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Spurensuche in alter Heimat

"Viadrina"-Studenten als ungewöhnliche Reiseführer in Polen unterwegs

Von Jeanette Bederke

FRANKFURT (ODER) Auf den Spuren seiner Kindheit in der früheren Oberförsterei seines Großvaters trat Albrecht Beil offen auf. Der Berliner musste nicht darauf achten, das die heutigen Bewohner des Anwesens im westpolnischen Lemierzyce ihn ja nicht bemerken. Im Gegenteil: Beil und seine Familie wurden mit offenen Armen, Kaffee und Kuchen empfangen. Denn die Jandziszaks, die aus Ostpolen kommend hier nach dem Zweiten Weltkrieg hier ein neues Zuhause fanden, waren auf den Besuch aus Deutschland vorbereitet.

Zu verdanken haben die Beteiligten die unkomplizierte Begegnung der Frankfurter Studenteninitiative "HeimatReise". Die Studierenden der Europa-Universität Viadrina begleiten Deutsche, die in Polen nach den Wurzeln ihrer Familien suchen. Viele deutsche Familien waren nach 1945 aus ihrer Heimat vertrieben worden, ihre Anwesen wurden von Polen übernommen, die ihrerseits aus Litauen, Weißrussland oder der Ukraine zwangsumgesiedelt worden waren. "Beide Seiten haben das selbe Schicksal erlitten. Sie miteinander ins Gespräch zu bringen, ist äußerst spannend", erklärt Jacqueline Nießer, Koordinatorin der Frankfurter Studenteninitiative.

Die Idee entstand vor zwei Jahren, als die "Preußische Treuhand" und der Bund der Vertriebenen mit Rückübertragungsforderungen ehemals deutscher Besitztümer für binationale Spannungen sorgten und im östlichen Nachbarland Ängste schürten. "Wir wollten etwas dagegen setzten - nicht im großen politischen, sondern im menschlichen Rahmen", erinnert sich Juliane Strauß, Studentin der Kulturwissenschaften. Die Initiative zählt derzeit 15 Mitglieder.

Bevor die Studenten auf Spurensuche nach Polen fahren, beschäftigen sie sich theoretisch mit Geschichte und Gegenwart der ehemals deutschen Gebiete. "Angefangen haben wir mit der einst zu Brandenburg gehörenden Neumark, weiter ging es mit Ostpreußen und Pommern", sagt Juliane Strauß. Polen sind bei "Heimat-Reise" in der Minderheit, sagt Koordinatorin Nießer. Dabei ist es für die studentischen Reisebegleiter unbedingt notwendig, dass sie die polnische Sprache beherrschen. "Ohne diese Kenntnisse würden wir mit den heutigen Bewohnern nicht in Kontakt kommen. Die Sprache öffnet viele Türen", berichtet Stephan Felsberg über seine Erfahrungen als Reiseleiter.

Die Studenten stießen bei ihren vorbereitenden Exkursionen auf herzliche Gastfreundschaft, recherchierten gemeinsam mit Ortschronisten und Regionalhistorikern sowie in polnischen Archiven historische Zusammenhänge vor Ort und sind damit bestens gerüstet, deutsche "Spurensucher" in Ostpreußen oder den Masuren fach- und natürlich sprachkundig zu begleiten. Die werden dann in Polen ähnlich wie Albrecht Beil ohne Vorurteile willkommen geheißen, alte Fotos werden gezeigt und plötzlich erzählen sich gerade noch völlig fremde Menschen ihre komplette Familiengeschichte.

Die Resonanz auf das ungewöhnliche studentische Reisebüro ist riesig, nicht nur in Deutschland. Juliane Strauß hat bereits ein australisches Paar auf der Suche nach den familiären Wurzeln in Krosno (Krossen) begleitet. Aktuelle Anfragen gibt es aus Österreich und den USA.

Die meisten Reisenden in die Vergangenheit haben selbst gar nicht mehr oder nur in sehr jungen Jahren in den ehemals deutschen Gebieten jenseits der Oder gelebt. "Oft sind es nachfolgende Generationen, die von Eltern oder Großeltern viel über die alte Heimat erzählt bekamen", sagt Koordinatorin Nießer. Es sei erstaunlich, dass die Kinder oder Enkel vor Ort Dinge wiedererkennen, die sie nur aus Schilderungen oder von alten Fotos kennen. Das hat die aus Sachsen-Anhalt stammende "Viadrina"-Absolventin bei ihrer eigenen Mutter erlebt. Nach dem Krieg geboren, hörte diese von den älteren Geschwistern eine Menge über das frühere Zuhause in Masuren, fuhr schließlich selbst dorthin. "Die Bewohner sprechen noch immer eine Mischung aus Deutsch und Polnisch. Dieses Kauderwelsch hatte meine Mutter schon bei ihren Verwandten gehört und während der Reise wiedererkannt."

Besitzansprüche würden die deutschen Heimkehrer auf Zeit in Polen jedoch nicht stellen, versichert Stephan. "Wer sich für unsere Reisebegleitung entscheidet, tut das in dem Bewusstsein: Es geht um Erinnerung, Erfahrung und Versöhnung - nicht mehr."

Haben Sie Interesse an einer HeimatReise?

Text © Märkische Verlags- und Druck-Gesellschaft mbH Potsdam, Foto © Stephan Felsberg

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