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Zurück in die Heimat

Zwischen Anspannung und Annäherung schwankt die Beziehungzwischen Deutschland und Polen seit Jahren. Eine ungewöhnlicheReiseagentur sorgt für etwas mehr Verständnis zwischen Deutschen undPolen.

Ein kleines Hinterhofbüro mitten in Frankfurt/Oder. Der Duftvon frisch gebrühtem Kaffee und polnischen Waffeln liegt in der Luft.Dicke Geschichtslexika, Landkarten und Wörterbücher stapeln sich aufden zwei wackligen Schreibtischen. Während Julia Gerstenberg versucht,eine alte polnische Urkunde zu entziffern, beantwortet JacquelineNießer geduldig am Telefon die Fragen von Interessenten. Täglich rufenDutzende von ihnen hier im Büro von "Heimatreise" an. Die Agenturrecherchiert für deutsche Familien ihre Geschichte in Polen undorganisiert Reisen für Vertriebene und deren Nachkommen in die alteHeimat – inklusive Dolmetscherdienste. Acht deutsche und acht polnischeStudenten der Europa-Universität Viadrina haben Ende 2004 dieReiseagentur gegründet – einzigartig in ganz Deutschland. Heimatreisesei entstanden, als die Emotionen zwischen Deutschen und Polenbesonders hoch gekocht seien, weil die preußische Treuhand angekündigthabe, Grundbesitzansprüche vor internationalen Gerichten einzuklagen,erklärt Jacqueline Nießer. "Wir haben dann hier in Frankfurt/Oder ander deutsch-polnischen Grenze überlegt, was können wir im Kleinen, imZwischenmenschlichen, dagegen setzen?"

Große Nachfrage

Jacqueline Nießer ist 27 und engagiert sich, wiealle anderen,ehrenamtlich für das Projekt. Rund zehn Touren haben die jungenKulturwissenschaftler und Historiker bis jetzt schon auf die Beinegestellt – nach Pommern, ins Lebuser Land und in die Neumark. DieNachfrage ist riesig und das Motto lautet: Geschichte erlebbar machen.Anlass für die Reisen seien häufig runde Geburtstage und die Söhne oderTöchter wollen ihren Eltern dann eine Reise in die alte Heimat schenkenund selbst auch mitfahren, sagt Nießer. "Das ist sehr wichtig, weil wirnicht in der Vergangenheit rumstochern, sondern die Geschichte alsAnstoß nehmen möchten, um auch über das heutige Polen und die Menschendort zu erzählen."

Detektiv-Arbeit

Die Studenten von "Heimatreise" begreifen sich alsReiseleiter undDetektive. In mühevoller Kleinarbeit, setzen sie winzigeInformationssplitter zu einer Familiengeschichte zusammen. So wie dievon Detlef Mielke. Am Anfang hatte der 69-jährige Rentner nichts außerein paar vergilbten Fotos und vagen Jahreszahlen. Die Studentenrecherchierten in polnischen Archiven, befragten Lokalhistoriker undnach einigen Monaten war es dann soweit. Detlef Mielke reiste zum Hofseiner einstigen Vorfahren. Seine Familie selbst kommt aus Stodolsko,ungefähr 65 Kilometer vor Posen. "Mein Vater wurde 1910 dort auchgeboren aber, was nützt das alles, 1923 mussten sie dann raus", erzähltder Rentner. Sein Vater habe nur wenn irgendwelche Feierlichkeitenwaren, mit ihm über die Heimat gesprochen. "Ich wollte nur mal sehen,ob das alles was ich von seinen Erzählungen im Kopf habe, auch in derRealität so ist. Mir ging es darum, den Grund der Familie zuerforschen, wo wir herkommen. Jeder will doch wissen wo sein Ursprungist!“

Falsche Erwartungen

Doch was Detlef Mielke sah, enttäuschte ihn etwas.Nichts von demAnwesen, das sein Vater ihm einst in leuchtenden Farben beschriebenhatte, war zu finden. Stattdessen ein kleiner Bauernhof mit Ökobetrieb.Hohe Erwartungen, verklärte Kindheitserinnerungen – das alles sei eingroßes Problem, wirft Jacqueline Nießer ein. Zuhören sei dasWichtigste, um solche Situationen bewältigen zu können. Doch Emotionengebe es nicht nur bei den deutschen Reisenden.

Missverständnissen vorbeugen

Für die polnische Seite sei es sehr wichtig, dassman bei allem, wasman tue, erst einmal klarstelle, dass man keine Ansprüche habe, sagtsie. Außerdem sei es wichtig, dass es auch junge Leute seien, die dieReisen begleiteten. "Leute, die eben keine erlebte Erfahrung haben.Wenn die Anwohner dann merken, dass wir sehr gut Polnisch sprechenkönnen, dann sind sie auch gerne bereit zu erzählen." Diese Menschenseien auch umgesiedelt oder vertrieben worden und sie hätten genausoeine Vertreibungsgeschichte zu erzählen, die dann wiederum verbinde,fügt Nießer hinzu.

Und genau um diesen Dialog geht es bei dem Projekt"Heimatreise", umdie Verständigung, nicht nur zwischen zwei Kulturen, sondern auchzwischen Generationen. Der Austausch mit den jungen Leuten, sei soetwas wie eine Energiespritze für ihn, sagt Detlef Mielke. Er ist seitseiner Geschichtsreise, Stammgast in dem kleinen Büro und unterstütztdas Team. Mielke hat sogar angefangen, Polnisch zu lernen. Schließlichwill er in Zukunft öfter verreisen - vor allem auf die andere Seite derOder.

HabenSie Interesse? Gerne erstellen wir Ihnen ein persönliches Angebot!

Autorin: Aygül Cizmecioglu, Quelle:deutsche-welle.de, Foto: instyut.net

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